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Nicht immer klappt alles (Eiger Ultra E101 DNF)

Flashback


Eiger Ultra, VP Wengen. Was sich abzeichnete, wurde wahr. Viele Faktoren spielten zusammen – allen voran eine noch nicht ganz ausgeheilte Grippe (von der ich ausging, dass sie ausgeheilt wäre, sonst wäre ich gar nicht erst gestartet). Aber auch die enorme Hitze an diesem Tag spielte sicher eine Rolle – aber alles der Reihe nach.


Start zum E101, Samstag, den 20.07.2024, 04:00 Uhr morgens








Aufgeregt warteten wir alle auf den Start. Meine Frau, mein Sohn und einige Trail-Maniacs – Adi, Nathalie, Guido, Madleina, Isabella, Christian, Martin, Sebastian und Sarah, um nur ein paar zu nennen – mischten sich unter die Hunderte von Trail-Runnern, die schon alle sichtlich nervös auf den Start warteten. 100 km mit rund 6500 Höhenmetern galt es zu bewältigen. Jeder fühlte die Anspannung. Jeder wusste, das wird hart und gleichzeitig auch schön. Gemischte Gefühle. Und das zu einer Uhrzeit, die normalerweise nicht dafür gedacht ist, körperliche Höchstleistungen zu vollbringen.


Die Zeit war überhaupt ein Problem für mich. Irgendwie klappte das Zeitmanagement für dieses Rennen überhaupt nicht. Ich hatte schon am Vortag das Gefühl, mir würde alles aus den Händen gleiten. Ich käme viel zu spät ins Bett und überhaupt. Ich bin vor solchen Rennen immer nervös und kenne das Gefühl – aber das war es dieses Mal nicht. Dieses Mal entglitt mir die Planung und der frühe Start war etwas, das ich bis dahin in dieser Form noch nicht kannte. Mitten in der Nacht aufstehen, frühstücken – ja sicher, aber für ein Rennen dieser Größenordnung parat zu sein – eher nicht.


Eine halbe Stunde war es noch bis zum Startschuss. Letzte Tipps wurden ausgetauscht, ein paar Worte der Aufmunterung gesprochen, mir selbst immer wieder klar gemacht: Hier bin ich nun. Der Tag ist gekommen. Und während ich so vor mich hin sinnierte, rief der Moderator auch schon: „Noch zwei Minuten!“ Und bevor ich die Chance hatte, nachzudenken, fing der Countdown an.


Ich wollte meiner Frau noch so viel sagen, mit ihr vereinbaren, wo wir uns treffen, wo sie auf mich warten sollte, was sie mir mitbringen würde – aber keine Chance mehr. 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 und LOS!


Und es ging los auf das Abenteuer des Eiger. Die ersten Meter immer zu schnell, der Puls viel zu hoch. Das Publikum peitschte jeden Einzelnen von uns an und ich war immer auf der Suche nach bekannten Gesichtern in der Menge – allen voran meiner Frau – und auch dieses Mal hatte ich das Glück, sie noch schnell zu sehen. Ein flüchtiger Kuss und ab ging’s.


Die ersten Meter durch Grindelwald sind relativ unspektakulär. Es geht die Straßen entlang bis zum Einstieg in die Trails. Während des Laufens kam plötzlich jemand auf mich zu. Bist du’s wirklich? Eine Läuferin, die mich offensichtlich vom Podcast her kannte. Wir unterhielten uns noch ein wenig.


Dann ging es auf den ersten Anstieg. Die große Schar der Läufer staute sich davor und langsam ging es in die Trails. Immer langsam den Berg hoch, im Dunkeln, bis hin zur großen Scheidegg. Dem ersten Verpflegungsposten und auch dem ersten Checkpoint für die Zwischenzeit.


Die Zeit spielte beim Eiger eine große Rolle. Denn noch mehr als beim E51 hatte ich beim E101 das Gefühl, unter enormem Zeitdruck zu stehen. Ein paar Wochen vorher traf ich Jack beim Swiss Canyon Trail. Jack ist ein 60-jähriger Läufer, der super mit dabei ist. Er sagte mir damals schon, dass die Cutoff-Zeiten beim Eiger relativ brutal sind und für einen Läufer in seiner Kategorie fast nicht zu schaffen wären. Und deswegen war ich schon im Vorfeld sehr darauf bedacht, immer genug Puffer an den Checkpoints zu haben. Jack sollte ich später nochmals wieder treffen.


Da es den ersten Anstieg weiter hinten, wo ich mich befand, sehr langsam nach oben ging, war ich dort schon unter Zeitdruck. Überholen war fast nicht möglich und so fand ich mich damit ab, nach der großen Scheidegg, wenn der Weg wieder breiter werden würde, etwas schneller laufen zu müssen.


Während wir den Anstieg nach oben liefen, kamen uns einige der 250er Finisher entgegen. Und ich hoffte, dort noch meinen Podcast-Partner und Freund Chris zu treffen. Und siehe da, kurz vor Ankunft an der großen Scheidegg kam mir tatsächlich noch Chris mit seinem Laufpartner Christoph und dem Solothurner Team mit Eric entgegen. Noch eine kurze herzliche Umarmung und weiter ging’s. Schön, dass sie es jetzt geschafft hatten, dachte ich mir noch. Weiter vorne traf ich dann noch Pawel (Ultrarunnerpaw), den ich bisher auch nur von Social Media kannte. (Toll hast Du es geschafft Pawel!)


An der großen Scheidegg angekommen, hatte ich noch einen Restpuffer von ca. 45 Minuten. Das war okay, fand ich. Nicht besonders viel, aber mehr, als ich befürchtet hatte.


Ohne großen Aufenthalt ging es weiter. Und mir war kalt. Ich hätte eine leichte Laufjacke oder Ärmlinge mitnehmen sollen. Aber der Wetterbericht sagte einen sehr heißen Tag voraus. Ich ging nicht davon aus, so etwas zu brauchen. Und mit dem Frieren kam leider auch mein Husten wieder. Und ich fühlte mich auch nicht besonders stark – schob das aber auf die Nervosität beim Rennen. Eine Fehleinschätzung, wie sich später noch herausstellen sollte.


Ich lief weiter und kam oben auf dem First an. Von dort ging es nochmals rund 500 Höhenmeter nach unten, um dann wieder zum First aufzusteigen. Die Strecke kannte ich noch nicht – denn der E51 macht diese Schleife nicht.


Der Downhill war steil und teils über Asphalt. Eine richtige Herausforderung für die Beine – ich musste schon sehr aufpassen, nicht hier schon meine Muskeln zu überlasten. Der Uphill allerdings war wunderschön und gerade kurz vor dem First ein richtiger Genuss, fand ich. Dort angekommen, warteten schon Sarah und Sebastian auf uns und feuerten mich schon von weitem mit Rufen an. Wie gut das an dieser Stelle doch tat. Ein kurzer Chat – und weiter ging’s über meine Lieblingsstelle, den Cliffwalk, zum nächsten VP. Kurz auftanken, Wasser auffüllen, ein paar Kalorien zu mir nehmen – weiter ging’s. Und je höher ich kam, desto mehr fing ich wieder an zu frieren, desto schwächer fühlte ich mich, und der Husten wurde schlimmer. Dann, nach dem VP Feld der Aufstieg zum Faulhorn. Es wurde zwar ein heißer Tag vorhergesagt – aber zum Faulhorn geht es auf 2660 m Höhe. Und die Sonne verschwand am Vormittag auch noch teilweise unter einer Wolkendecke. So dass mir immer kälter wurde – obwohl ich mich sehr anstrengen musste. Dieser Anstieg ist kein Spaß. Schon beim E51 hatte ich dort zu kämpfen und heute hatte ich schon rund 10 km mehr in den Beinen mit sehr viel mehr Höhenmetern. Jeder Meter aufwärts ein Kampf.


Mittlerweile hatten uns auch die ersten des E51 bereits eingeholt und ich konnte die Profis vom Adidas Terrex Team an mir vorbeisausen sehen. Während ich mich langsam hochkämpfte, liefen die Profis den Anstieg nach oben. Das war schon sehr beeindruckend zu sehen. Und was ich an dieser Stelle auch sagen möchte, ist, dass die Profis durchwegs sehr höflich nach Platz gefragt haben, um an einem vorbei zu kommen. Etwas, was ich von vielen „Möchtegern“-Profis später nicht behaupten konnte. Denn da wurde teilweise einfach gedrängelt, nicht gewarnt, sondern einfach vorbeigezogen – teilweise mit Schubsen. So etwas geht gar nicht und hat mich sehr geärgert. Denn gerade auf den Trails in den Bergen ist so ein Verhalten fahrlässig und kann zu schweren Unfällen führen. Ein absolutes No-Go. Aber eben nichts, was die Profis nötig hätten.


Auf dem Faulhorn dann endlich angekommen, ging es mir wieder Erwarten sehr gut. Keine Magenprobleme – wie ich sie aus den vorhergegangenen Jahren kannte. Ich nahm noch ein Glas Cola, ein paar Chips und ab ging’s auf den Downhill und damit in Richtung Schynige Platte.


Diesen Abschnitt habe ich sehr gerne. Er ist zwar relativ technisch mit vielen Steinen, die es zu überqueren gilt, aber die Aussicht von dort oben auf den Brienzer und den Thuner See einerseits und den Eiger, die Jungfrau und den Mönch andererseits einfach nur wunderschön. Mittlerweile kam auch die Sonne richtig raus und es wurde warm. Mir wurde warm. Nur der Husten, der blieb.


Ich lief weiter und sowohl meinem Magen als auch meinen Füßen ging es gut. Nur hatte ich das Gefühl, nicht richtig Luft zu bekommen, nicht zuletzt auch wegen des Hustens. Ich lief in den VP Schwand ein – dort ging es mir letztes Jahr richtig schlecht – und ich fühlte mich super. Keine Magenprobleme. Nichts. Ich war richtig happy. Kurzer Aufenthalt dort, viel Cola – rein präventiv – und schon ging’s in den Downhill nach Burglauenen. Und leider wurden die Atemprobleme immer schlimmer. Ich hatte das Gefühl, keine Luft in die Lungen zu bekommen. Und ich bekam Angst, dass ich ein Problem mit den Lungen habe. Denn offensichtlich war die Grippe, die ich rund 1,5 Wochen vorher hatte, wieder zurück gekommen.


Die erste Entscheidung


Und so beschloss ich während des Downhills bereits, in Burglauenen auszusteigen. Als Mike von hinten an mich heranlief und mich begrüßte, sprach ich es zum ersten Mal aus: Ich werde in Burglauenen aussteigen. Und damit wurde es zum ersten Mal konkret. Noch ein kurzes Gespräch mit Mike und weiter ging es. Ich fühlte mich zwar körperlich etwas weniger schwach, aber der Husten und die damit verbundenen Atemprobleme machten mir Angst. Ich beschloss, in Burglauenen mindestens jemanden nach seiner Einschätzung zu fragen. Ich wusste, Sebastian würde dort sein – und der ist Arzt. Könnte mir also sicher einen Tipp geben.


Als ich in Burglauenen einlief, sagte ich meiner Frau, dass ich aussteigen würde. Sarah sagte mir sofort, was ich zu tun hätte, in einem völlig ruhigen und unaufgeregten Ton (Danke, Sarah, das war top!). Dann kam ich an den Platz, den meine Frau und mein Sohn für mich vorbereitet hatten. Und mir kamen die Tränen: Sie hatten alles perfekt vorbereitet, meinen Dropbag geholt und ein Plakat gemacht, auf dem stand: „Die ersten 50 km hast du schon, den Rest schaffst du auch noch!“ Und da kamen mir plötzlich Zweifel an meiner Entscheidung. Ich sah zwar, dass viele Bekannte ebenfalls in Burglauenen ausgestiegen waren (vor allem weil es extrem heiß wurde) – aber ich wollte irgendwie jetzt doch weitermachen. Also fragte ich alle möglichen Menschen nach deren Meinung. Eric war da und seine Meinung ist mir schon immer sehr wichtig gewesen. Und er schätzte die Lage für mich ein. In der Zwischenzeit organisierte meine Frau für mich einen Platz bei der Massage und etwas zu essen. Ich ging dann noch zum Arzt im VP und ließ meine Lungen durchchecken. Und der sagte mir, die wären zwar okay – er würde mir aber trotzdem raten aufzuhören, da meine oberen Atemwege belegt sind.


Ich nahm das zur Kenntnis und ging zur Massage. Dort empfing mich Nathalie und wir hatten ein kurzes Gespräch. Die Massage wirkte wahre Wunder und ich fühlte mich wieder super stark. Sie sagte mir auch, dass es jetzt ab Burglauenen durch den Wald nach Wengen gehen würde und ich könne es doch mindestens versuchen, nach Wengen zu kommen und dort dann sehen, wie es weitergehen würde. Offensichtlich verstand sie, was mich bewegte. Danke, Nathalie!


Meine Frau meinte auch, ich könne es ja versuchen (sie kennt mich ja auch und weiß, dass ich einen Sturschädel haben kann) und so entschloss ich mich weiterzulaufen. Ich verbrachte wohl so ca. 1 Stunde in Burglauenen. Dann machte ich mich auf den Weg nach Wengen.


Kaum über die Straße in Burglauenen gelaufen, packte ich meine Leki-Stöcke aus und verabschiedete mich von meiner Frau und meinem Sohn, da verklemmte sich einer der Stöcke. Mist. Aber zum Glück hatte ich Ersatzstöcke dabei. So ging es nahtlos für mich weiter.


Und Nathalie sollte Recht behalten – der Anstieg nach Wengen war zwar hart – aber relativ frisch, denn es ging über weite Strecken durch den Wald. Und anfangs fühlte ich mich auch noch super gut. Richtig frisch und auch ohne große Atemprobleme wahrzunehmen. Der Husten war zwar immer noch da – aber so sollte es doch gehen, dachte ich.


Denn es ging nicht. Der Husten wurde schlimmer, damit kamen auch die Atemprobleme wieder und ich hatte das Gefühl, einfach nicht genug Sauerstoff in meine Lungen zu bekommen. Dort traf ich dann auch Jack wieder, der ebenfalls zu kämpfen hatte, aber für den klar war, er würde mindestens bis zum Männlichen weitermachen. Ich bin mir gar nicht sicher, wie es ihm erging. Jack, wenn du das liest, melde dich doch gerne mal bei mir! ;-)


Ich brachte den Anstieg noch hinter mich, lief das kurze Stück geradeaus, das dort folgt und beschloss dann endgültig, dass es keinen Sinn mehr machen würde. Ich rief meine Frau an – denn wir wollten uns sowieso in Wengen treffen – und teilte ihr mit, dass ich dann dort aussteigen würde. Dieses Mal endgültig.


Und in diesem Augenblick fühlte sich die Entscheidung superrichtig an.


Ich lief den kurzen Downhill und dann kam mir auch schon meine Frau entgegen. Sie begleitete mich das kurze Stück noch zum VP und zeigte mir den Anstieg zum Männlichen, den ich bis dahin noch nicht kannte. Jetzt war ich mir sicher, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich es dort rauf geschafft hätte. An der VP angekommen, teilte ich mit, dass ich aussteigen würde.


Und der Augenblick schmerzte. Sehr.


Aus


Ich wurde in eine Liste eingetragen, gab das GPS ab und bevor ich noch nachdenken konnte, hörte ich eine Stimme hinter mir. „Christian, hallo, bist du es?“ – und ich traf Heinz, den Vegan Trailrunner! Ich kannte ihn bis dahin nur virtuell und ich freute mich sehr, ihn kennenzulernen. Zwar wären die Umstände des Kennenlernens in einer anderen Situation wünschenswerter gewesen, denn auch er musste das Rennen aufgeben – war allerdings auch schon halb auf dem Männlichen oben – aber dennoch tat es gut, mit jemandem zu reden, dem es ähnlich erging und auch noch ein paar andere Läufer zu sehen, die ebenfalls in Wengen aufhörten.


Wir fuhren dann mit der Bahn von Wengen aus über den Männlichen nach Grindelwald und ich bewunderte und beneidete jeden Läufer gleichzeitig, den ich auf dem Weg sah. Ich würde dieses Jahr keiner von denen sein, die es schaffen würden. Ich würde dieses Jahr nicht in Grindelwald einlaufen – kein T-Shirt bekommen, keinen Stein. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir die Konsequenz meiner Entscheidung bewusst. Desto mehr bereute ich die Entscheidung einerseits (Herz), während mein Körper mir aber auch sagte, dass es goldrichtig war aufzuhören.


In Grindelwald angekommen, wollte ich nur noch weg. Nichts mehr sehen und hören von dem ganzen Trubel. Den Zieleinlauf nicht sehen, den Moderator nicht hören. Ich war enttäuscht von mir selbst. Enttäuscht, es nicht geschafft zu haben.


Wie sehr doch die Perspektive eine Rolle spielt. Ich bin an diesem Tag 64 km mit 4000 Höhenmetern gelaufen. Das ist weit entfernt von „nichts“ und auch eine große Leistung – bedenkt man vor allem meinen Hintergrund. Aber das schale Gefühl, es nicht „ganz“ geschafft zu haben, verrückt diese Perspektive. Wäre ich „nur“ den E51 gelaufen – der Tag wäre ein Erfolg gewesen. Aber so?


Und so fuhren wir an diesem Tag einfach nach Hause.


Die folgende Woche


Der DNF beschäftigte mich die ganze Woche. Ich war sauer auf mich selbst. Ich versuchte, die Ursachen zu finden. Hatte ich zu wenig trainiert? War ich noch nicht soweit? Hätte ich überhaupt starten sollen mit der Grippe? Immerhin ging man davon aus, dass eine Grippe rund zwei Wochen brauchen würde, um vollständig ausgeheilt zu sein und ich machte nur rund 1,5 Wochen Pause. War das der Grund?


Ich habe dazu in dieser Woche keine abschließende Antwort gefunden. Und wahrscheinlich gibt es die auch nicht. Ziemlich sicher war es eine Mischung aus allen Faktoren, die dazu führten, dass es in diesem Jahr eben nicht klappen sollte.


Was aber klar war – ich wollte den Rest des Laufes noch erleben. Und ihn irgendwann auf jeden Fall nachholen – noch vor dem Eiger Ultra 2025 – denn das wäre klar, dort würde ich wieder am Start stehen – so oder so.


Und aus diesem Gedanken heraus und der Tatsache, dass ich die folgende Woche Urlaub haben würde und wir nichts Besonderes geplant hatten für den Urlaub, kam die Idee auf, nach Grindelwald zu fahren und den Rest des E101 zu laufen.


Eine Woche später





Und so fuhren wir am Samstag, eine Woche nach dem eigentlichen Lauf, Richtung Grindelwald, mit dabei unsere Camping-Ausrüstung.


Am Sonntagmorgen machten meine Familie und ich uns dann zusammen auf den Weg nach Wengen. Dort angekommen, stand ich vor dem VP, vor dem ich eine Woche zuvor die Entscheidung traf, aufzuhören. Ein komisches Gefühl. Nicht nur wegen der Entscheidung an sich, sondern auch deswegen, weil von dem ganzen Rennzirkus nichts mehr zu sehen und zu spüren war. Und ich fühlte mich natürlich ganz anders. Ausgeruht – aber nicht zu sehr: Denn das war mir wichtig, jetzt nicht einfach eine Woche Pause zu machen und dann völlig frisch den Rest zu laufen. Sondern ich wollte eine bestimmte Basis-Beanspruchung haben, mit der ich den Rest des Eigers laufen würde. Denn immerhin hätte ich beim richtigen Rennen ja auch bereits rund 64 km hinter mir.


Meine Frau briefte mich noch, wo und wie es losging – da war sie richtig in ihrem Element – noch ein paar letzte Fotos und dann ging es für mich (endlich) auch auf den zweiten Teil des Eiger Ultra 101. Dieses Mal alleine, ohne Zeitdruck.


Und als ich loslief, wurde mir etwas so richtig bewusst – was schon fast ein wenig in Vergessenheit geriet wegen des ganzen Rummels um den Eiger. Ich LIEBE ES, stundenlang durch die wunderschöne Berglandschaft zu laufen! Ich liebe das Gefühl der Anstrengung, des Vorwärtskommens. Die Möglichkeit, dies alles selbst, mit meinem Körper, zu leisten.


Das alles wäre vor ein paar Jahren noch völlig undenkbar gewesen. Ein Aufstieg in der Größenordnung Wengen – Männlichen so absurd aufgrund meiner Körperfülle. Geschweige denn ein Weiterlaufen von dort oben aus. Ich wäre vor ein paar Jahren schon froh gewesen, 1 km zu Fuß gehen zu können.


Und das war es auch, was mich am Aufgeben vor einer Woche so besonders schmerzte. Denn ich wollte auf den Männlichen (ich war dort ja schon Ski fahren), ich wollte auf die kleine Scheidegg, auf den Eiger – vor dessen Station ich ebenfalls schon mit den Skiern stand – ich wollte den Downhill nach Grindelwald laufen. Weil ich es jetzt kann und weil mir jeder einzelne Meter davon Spaß macht.





Die erste Station war der Männlichen. Der Anstieg war hart, aber sehr, sehr schön, finde ich. Nicht technisch – aber auch nicht ganz unkritisch an bestimmten Stellen. Ich brauchte rund 1,5 Stunden dafür – keine Spitzenzeit sicher, aber für mich absolut zufriedenstellend. Wenn ich mich recht erinnere, dann war an den Wegweisern der Aufstieg mit 3,5 Stunden wandern angegeben. Oben am Männlichen überraschten mich auch direkt meine Frau und mein Sohn und wir genehmigten uns dann erst einmal eine Tasse Kaffee und genossen ein wenig die Gegend.



Dann ging es weiter Richtung kleine Scheidegg. Kurz vor der kleinen Scheidegg – ich hatte die Abzweigung schon verpasst – dann rauf Richtung Lauberhorn. Immer im Slalom durch die vielen, vielen Wanderer, die an diesem Tag unterwegs waren. Ich war auf diesen Wegen und auf dem Lauberhorn noch nie und kannte das alles nur aus dem TV bei den Skirennen. Umso interessanter war es, das alles live und im Sommer zu sehen.


Ich bildete mir auch ein, den Vibe zu spüren, der nur eine Woche vorher hier herrschte, als all die vielen Trailrunner über diese Wege liefen. Ein tolles Gefühl.


Von der Station „Wixi“ auf der Lauberhornschulter aus ging es dann in den Downhill Richtung Wanderweg auf die kleine Scheidegg. Schön zu laufen, nie zu anspruchsvoll. Die Kuhherden waren schon das kritischste auf dem Weg – denn es standen überall Warntafeln wegen der Mutterkühe. Die Kühe waren aber alle recht friedlich und so kam ich gut vorwärts.


Von dem Punkt, an dem es auf den Wanderweg geht, bis zur kleinen Scheidegg waren dann noch ein paar Kilometer und Höhenmeter zu überwinden. Und bei der Ankunft auf der kleinen Scheidegg machte ich zunächst einen kleinen Verpflegungs-Zwischenstopp. Ein alkoholfreies Bier und ein Nussgipfeli als Energiespender sind kaum zu toppen.


Nach einer kleinen Pause dann endlich der Moment, auf den ich schon lange wartete, denn auf der kleinen Scheidegg war ich schon ein paar Mal und konnte den Wegweiser E101 sehen, den kleinen grünen. Und wie oft hatte ich mir schon vorgestellt, dort zu laufen. Und jetzt war es soweit. Ich öffnete das Tor und es war wie der Eintritt in eine andere Welt. Kein anderer Läufer war unterwegs. Kein anderer Wanderer. Nur ich. Und der Aufstieg zum Eiger.


Und der hatte es nochmals in sich. Er war steil, aber mega, megaschön. Ich empfand es als puren Genuss, dort zu laufen und als ich dann die Station des Eigers sah, hüpfte mein Herz richtig vor lauter Freude. Ich würde es heute schaffen. Ich würde heute mit meinen Füßen dorthin gelangt sein. Was für ein emotionaler Moment. Die letzten Meter zur Station vergingen wie im Fluge, so sehr war ich in diesem Moment, dass ich sogar vergaß, abzubiegen und bis ganz rauf zum Restaurant lief.


Ich lief wieder runter, ums Eck rum und auf den richtigen Weg.


Dort erlebte ich eine Episode über die vielen Touristen, die dort unterwegs waren, die fast schon surreal wirkte.


Denn auf dem Weg nach oben kam mir eine indische Familie entgegen. Ein älterer Mann mit seiner Frau und der Tochter, offensichtlich, die ihre Mutter im Arm hielt. Alle hatten nur Sneaker an und die ältere Frau hatte Mühe, nach unten zu gehen. Sie ging sehr langsam und rutschte immer wieder aus.


Der Mann sprach mich dann an und fragte, wie weit es nach unten wäre. Und ich fragte, wohin nach unten (ich ging davon aus, er meinte die Station des Eiger-Express) und er antwortete nach ganz unten, nach Grindelwald.


Ich machte ihm dann klar, dass es ein Fußmarsch von ca. 10 km mit ca. 2000 Höhenmetern Differenz auf Bergwanderwegen wäre. Mit den Schuhen, die sie anhatten und der Tatsache, dass die ältere Frau schon auf den ersten Metern Probleme hatte, für mich ein Ding der Unmöglichkeit.


Sie und ich gingen dann weiter. Aber mich würde interessieren, was aus dieser Familie wurde. Ich habe auf dem Weg nach unten so manch andere Wanderer gesehen, die weder richtig ausgerüstet noch fit genug für den Weg aussahen. Mich wundert ehrlich gesagt, dass nicht mehr passiert in den Bergen.





Ich lief dann weiter in den wunderschönen Eiger-Trail und kam dann nach ca. 10 km in der Brandegg an. Dort hielt ich allerdings nicht, sondern machte mich direkt auf den Weg zur Pfingstegg. Die ersten Kilometer gingen noch, und dann waren es irgendwann „nur“ noch 4 Kilometer bis zur Pfingstegg. Aber die hatten es in sich. Es geht nochmals steil nach oben über Wurzeltrails. Und ich kann mir in etwa vorstellen, wie sich das anfühlen muss, wenn man schon 95 km in den Beinen hat. Ich jedenfalls habe laut vor mich hin geflucht, wie man bitte schön am Schluss noch so eine Steigung einbauen kann – man wäre ja schon fast in Grindelwald und müsse dann nochmals so etwas machen. Der „Ärger“ war aber nur von kurzer Dauer, denn es liegt nunmal in der Natur des Eigers, kein einfaches Rennen zu sein. Und so kam ich auf der Pfingstegg an.


Ich hatte eigentlich mit meiner Familie vereinbart, uns dort oben zu treffen. Aber die letzte Bahn fuhr um 19.00 Uhr ab und meine Familie fuhr mit dieser nach unten. Ich kam exakt um 19.00 Uhr aber oben an. Es klappte also nicht mehr mit einem Treffen oben. Aber von dort aus waren es dann ja nur noch ein paar Kilometer bis ins Ziel nach Grindelwald. Und die waren dann noch gut laufbar.


Und so kam ich an diesem Sonntag, mit einer Woche Verspätung, doch noch ins Ziel nach Grindelwald. Sogar die Brücke und der berühmte Downhill in den Zieleinlauf standen noch – und ich konnte einen persönlichen Zieleinlauf mit der Begrüßung durch meine Familie machen.


Ich lief an diesem Tag den Rest vom Eiger Ultra E101. Rund 39 km mit ca. 2500 Höhenmetern. Und zum Schluss gab es sogar noch ein Finisher-Geschenk meiner Familie. Ein Schlüsselanhänger und ein Stein vom Eiger, den meine Frau eine Woche vorher noch besorgte. Was für eine schöne Geste.




Frieden schließen


Mit diesem Lauf habe ich meinen Frieden mit dem Eiger geschlossen. Er hat mir geholfen, nicht nur den DNF wegzustecken, sondern vor allem wieder den Fokus zurückzugeben auf das, worauf es mir wirklich ankommt und warum ich das alles mache. Warum ich trainiere, warum ich so viel Zeit ins Laufen stecke. Weil es ganz einfach mich in die Lage versetzt, genau solche Dinge tun zu können.


Ich weiß nicht, ob man Ultrarunner sein muss, um das zu verstehen oder ob man Ultrarunner wird, weil man so denkt – wahrscheinlich ein wenig von beidem.


In diesem Sinne werde ich weiter trainieren und den Eiger auch nächstes Jahr wieder laufen. Nicht um einen bestimmten Platz zu erzielen, nicht um anderen etwas zu beweisen, noch nicht einmal, um mir selbst etwas zu beweisen, denn das habe ich nicht mehr nötig! Nein, einfach nur, weil es mir Spaß macht.


Mehr dazu auf in der nächsten Episode der trail-rookies unter





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