Liebe Freunde,
es liegen ein paar sehr turbulente Wochen hinter mir. Vieles liegt im Wandel und hat mich persönlich nahe an meine Leistungsgrenzen gebracht. Dazu die stille Zeit, das schlechte Wetter, der Lockdown - ihr wisst wovon ich rede. Und plötzlich war da auch wieder diese Angst den neuen Lebensstil nicht beibehalten zu können. Wieder zuzunehmen. Das neue Leben wieder zu verlieren. Das härteste am "normalisieren" seines Körpergewichts ist das Halten. Das hat nach wie vor seine Gültigkeit.
Essen war für mich schon immer eine Möglichkeit mich "besser" zu fühlen. Später kam noch Alkohol dazu. Eine Tafel Schokolade hier, eine Packung Zweifel Chips dort, die handvoll Erdnüsse - dazu ein Bier, was soll das schon gross schaden?! Als gebürtiger Bayer bin ich ja in einer Kultur aufgewachsen in der Schweinsbraten, Knödel und Bier ein normales Mittagessen waren. Jedes Essen, das meine Mutter und Grossmutter zubereitete hatte einen speziellen Namen. "Esterhazy Kotelette", "Kaiserschmarrn", "Risi bisi" - um nur ein paar zu nennen. Schon morgens war bei meiner Mutter klar geplant was es zu Mittag gab. Und hatte ein Gericht keinen Namen, so erfand meine Mutter kurzerhand einen Namen. Weihnachten war eine ganz spezielle Zeit für meine Mutter. Sage und schreibe zwischen 25 und 35 verschiedene Guetzli-Sorten (oder Plätzln, wie man in Bayern sagt) backte meine Mutter immer vor Weihnachten. Und damit nicht genug, die meisten davon wurden auch liebevoll verziert bis hin zu den speziellen Plätzchen in Form von Weihnachtsmännern oder anderen Figuren die sie mit einem Pinsel und Lebensmittelfarben kolorierte. Dazu jedes Wochenende einen Kuchen oder eine Torte. Wenn ich so darüber nachdenke, dann hat Essen bei uns schon immer eine sehr grosse Rolle gespielt. Ich bin mir nicht sicher woher diese Liebe kam - vermutlich hing das noch mit der Nachkriegszeit zusammen, in der meine Grosseltern froh waren "etwas zu essen zu haben". Auf jeden Fall erzeugte Essen bei mir immer schon dieses wohlig warme Gefühl der Geborgenheit. Ganz abgesehen davon, dass es einfach schmeckte. Essen nicht als Zweck, sondern Essen als Lustbefriedigung.
Besonders Abends war es immer sehr hart. Der Tag war geschafft, der Stress lies nach und damit wurde es Zeit mich zu "belohnen". Und "belohnt" wird, natürlich, mit Essen. Dazu ein Glas Wein oder ein Bier. Das machte es doppelt so schlimm, denn Alkohol enthemmt und mit jedem Schluck näherte ich mehr der Grenze an der alle Hemmungen fielen und ich ass was ich nur finden konnte. Chips, Schokolade, bis hin zu kompletten Mahlzeiten, die vom z'Mittag noch übrig waren. An manchen Tagen ass ich auf diese Art nicht nur doppelt sonder sogar dreifach, zzgl. der durch den Alkohol aufgenommenen Energie.
Der nächste Morgen war dann wieder ernüchternd. Ich schämte mich für den Kontrollverlust, wusste aber gleichzeitig schon genau wie der nächste Abend aussehen würde. Nämlich genau wie der vorherige. Zu schön war das wohlige Gefühl.
Es ist extrem hart aus diesem Schema auszubrechen. Denn es benötigt ständige Selbstkontrolle, die anstrengend und ermüdend ist. Dieses Phänomen wird als Ich-Erschöpfung bezeichnet. Das kennt wohl jeder, der abnehmen möchte und damit scheitert. Am Anfang ist die Motivation hoch, das Verzichten fällt leicht. Mit der Zeit lässt die Motivation nach, die Selbstkontrolle gewinnt mehr an Bedeutung und führt aber dazu dass bereits durch das Aufbringen der Selbstdisziplin eine hohe Anstrengung geleistet werden muss die sich in einem Erschöpfungszustand danach bemerkbar macht. Mit anderen Worten: Wer bereits die Disziplin aufgebracht hat das Stück Torte nicht zu essen hat damit bereits Willenskraft verbraucht und kann diese nicht mehr für andere Aufgaben verwenden (Ich-Erschöpfung). Und damit treten zwei Faktoren zu Tage die in Ihrer Wirkung dann dazu führen, dass die Selbstdisziplin nicht aufrecht erhalten werden kann: Das Erschöpfungsgefühl und gleichzeitig das (vermeintlich) gute Gefühl direkt nach dem Essen. Verstärkt durch etwaige Suchtsymptome (Zucker).
Jeder Übergewichtige kennt das auf die eine oder andere Art.
Und das ist dann auch der Grund warum das "Halten" des Gewichts nach dem Abnehmen so schwer ist. Denn es benötigt eben für einen (Ex-)Übergewichtigen ständig diese Selbstkontrolle. Und mit der Zeit steigt eben das Risiko wieder zu alten Verhaltensweisen zurückzukehren und die Selbstkontrolle aufzugeben. Alleine durch das Abnehmen verändern sich die Faktoren, die vorher zu der Gewichtszunahme geführt haben, natürlich nicht. Auch bei mir nicht, da mache ich mir selbst nichts vor.
Als ich vor jetzt bereits zwei Jahren beschloss abzunehmen und gesund zu werden war mir das natürlich schon bewusst. Immerhin hatte ich bereits zahllose Diäten hinter mir - aber eben nie mit dem grossen Erfolg und schon gar nicht auf Dauer. Der Grund war immer der gleiche, wie weiter oben beschrieben. Anfangs klappte alles noch recht gut, 10kg oder gar 20kg abzunehmen war nicht das grosse Problem - wenn denn einmal der Anfang gemacht war. Aber dann mehr abzunehmen oder das Gewicht zu halten, das schaffte ich nicht - bis ich für mich meine Regeln aufstellte und damit Erfolg hatte und noch immer habe.
Es mag ja nun Mensch geben, habe ich gehört, für die Selbstdisziplin überhaupt kein Problem ist - ich gehöre jedenfalls nicht dazu (falls Du dazu gehörst - Gratulation! ;-) ). Und "Normalgewichtige" haben sicher auch kein Problem damit herauszufinden ob sie zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas essen "dürfen" oder nicht. Für einen Übergewichtigen ist die Entscheidung für oder gegen das (beispielsweise) Stück Kuchen aber immer eine enorme Anstrengung. Mindestens wenn der Wunsch zum Abnehmen besteht. Es wird jedesmal eine bewusste Entscheidung für oder dagegen getroffen.
Was für einen "Normalgewichtigen" in etwa so abläuft:
- Hm, ein Stück Kuchen!
- Guten Appetit!
ist für einen Überwichtigen eher ein Prozess in folgender Art:
- Hm, ein Stück Kuchen!
- Wäre schön, den jetzt zu essen.
- Schmeckt bestimmt gut.
- Hm. Der hat bestimmt viel Energie. Viel zu viel.
- Wieviel habe ich heute schon gegessen?
- Wenn ich den jetzt esse, sollte ich das Abendessen ausfallen lassen.
- Ich könnte auch Sport machen. Wenn ich heute mit dem Joggen anfange, dann kann ich den Kuchen doch essen, oder nicht?
- Schaut mir überhaupt jemand zu? Soll ja nicht jeder mitbekommen dass ich den Kuchen esse
- Also gut, ich esse den jetzt. Das eine Mal wird schon nicht schaden.
Zugegeben, der gerade beschriebene Prozess mag überspitzt sein - dennoch verdeutlicht er das Dilemma, vor dem der/die Übergewichtige steht.
Es gilt also diesen Prozess zu vereinfachen. Und hier ist auch der Trick. Mit einer begrenzten und immer gleich bleibenden Anzahl von sinnvollen Regeln lässt sich dieser Entscheidungs-Prozess deutlich verkürzen und vereinfachen. Und das führt dazu, dass insgesamt sehr viel weniger Energie in die Entscheidungsfindung gesteckt werden muss. die Ich-Erschöpfung bleibt aus, die Selbstdisziplin lässt sich leichter aufrecht erhalten.
Ich habe für mich drei Regeln aufgestellt. Und dieses System hat sich so bewährt, dass es auch in anderen Bereichen meines Lebens mittlerweile Anwendung gefunden hat. Zum Beispiel beim Sport. Vielleicht versuchst Du es einmal selbst? Als Inspiration kannst Du ja meine drei Regeln verwenden.
Liebe Grüsse,
Euer Christian
Hallo. Ich habe Ihren Beitrag mit Interesse erwartet.
Was den internen Dialog vor einem Brot betrifft: Ich glaube nicht, dass Sie übertrieben haben, ich denke, er ist sehr realitätsnah. Es passiert mir. In Ihrem Beitrag schreiben Sie mit gutem Gewissen, was in uns passiert.
Es hilft, aufmerksamer zu sein, einfache Regeln zu erstellen, um nicht auszubrennen und es so zu erreichen. Wie interessant zu wissen, dass Sie Dinge vereinfachen und anderen Lebensbereichen "drei Regeln" für andere Ziele hinzufügen können.
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Blog, es ist eine ständige Unterstützung und Inspiration, wenn Sie gesund sein können. Wie gut es sich anfühlt, agil und leicht zu sein!